Blues in Deutschland

Wirft man einen Blick auf das Interesse am Blues und die Entwicklung der Bluesszene in Deutschland und den angrenzenden Ländern, findet sich heute hier eine lebendige Vielfalt, die schwarzem wie weißem Blues einen festen Platz im dortigen Musikleben sichert. Ähnlich der Situation in England kam der Blues im Nachkriegsdeutschland nur am Rande der sich neu formierenden Jazzszene vor. In Deutschland fehlte allerdings ein Chris Barber oder Alexis Korner, so daß authentische Bluesmusiker bis zum Aufkommen des American Folk Blues Festival (AFBF) 1962 fast gar nicht zu sehen und zu hören waren. Zwar pflegten verschiedene Jazzmusiker damals durchaus das Bluesidiom, es sei hier nur erinnert an Oscar Klein, Günter Boas, Toby Fichelscher, Leopold von Knobelsdorf oder auch Klaus Doldinger. Die eigenständige und authentische Bluesrezeption wie in England oder in Amerika fand aber erst in der Folge der AFBFs statt.

Neben dem durch die AFBF-Veranstaltungen hervorgerufenen Bluesinteresse brachten die immer populärer werdenden britischen Rock-, Pop- und Bluesgruppen in Deutschland den britischen Blues dem Publikum deutlich näher. Durch diese beiden Entwicklungen vermischte sich für viele der schwarze und der weiße Blues - hier der britische weiße Blues - zusehends. Teilweise wurde und wird immer noch von vielen Bluesinteressierten der britische Blues von Peter Green, John Mayall oder Eric Clapton als authentischer angesehen als der schwarze Blues ihrer erklärten Vorbilder und Lehrmeister.

Die ersten Bluesgruppen und Bluesmen begannen sich im deutschsprachigen Raum in diesem Umfeld zu emanzipieren. Anfang der 70er Jahre spielten die Frankfurt City Blues Band, Das Dritte Ohr, Lösekes Bluesgang, Blues Company, Al Jones Bluesband, Martin Philippi, Gerhard Engbarth, Richard Bargel und zahlreiche weitere Gruppen und Musiker in Deutschland in den wenigen Jazz- und Jugendclubs. In der ehemaligen DDR widmeten sich Jürgen Kerth, Stefan Distelmann oder die Gruppe Engerling dem Blues, in Österreich und der Schweiz spielten die Bluespumpm, Al Cook oder die Lazy Poker Blues Band.

Vorrangig versuchte man Titel von Willie Dixon, Muddy Waters, B.B. King und anderen Stars des schwarzen Blues zu imitieren. Neben der Dominanz des Chicago Blues spielte außerdem der elektrische weiße Blues von Johnny Winter oder der Allman Brothers Band aus Amerika im Spiel vieler Musiker eine große Rolle. Auch der Folk-Blues im Rahmen des Blues Revival übte eine wesentliche Funktion in der musikalischen Rezeption aus. Das Dritte Ohr um den Sänger Udo Wolff und dem Gitarristen Tom Schrader, der Bluesbarde Gerhard Engbarth und die Charly Schreckschuss Band zählten zu den ersten, die den Blues auch in deutscher Sprache vortrugen. Verschiedene Musiker engagierten sich in mundartlichen Bluestiteln, vor allem die bayrischen Bluesmen William Fändrich mit seiner Gruppe Williams’ Wetsox, Paul M. Vilser oder die Rockgruppe Sparifankal.

Das Interesse und die Bemühungen dieser Musiker korrespondierten mit der Zunahme an Auftritten und Tourneen schwarzer Bluesmen unabhängig vom AFBF in Deutschland in den 70er Jahren und dem Auftreten kleiner Plattenfirmen und Produzenten, die den deutschen Bluesern neue Möglichkeiten der Verbreitung anboten. Auf dem „Ornament Label“ von Siegfried Christmann erschienen Aufnahmen von John Lee Hooker und Champion Jack Dupree neben Platten von Blues Delivery oder der Dusty Broom Blues Band. Die Plattenfirma „Pläne“ veröffentlichte Aufnahmen der Delta Blues Band, Das Dritte Ohr wurde von „Teldec“ produziert, Gerhard Engbarth erschien bei „L+R Records“. In Frankfurt gründete sich ein Freundeskreis von Bluesinteressierten, der German Blues Circle, der seit 1976 ein monatliches Informationsblatt verlegt. In Österreich erschienen die Zeitschriften „blues notes“ und „Blues Life“, in Deutschland gab es das Magazin „Blues Forum“. Bis auf das Info des German Blues Circle existieren die genannten Zeitschriften heute leider nicht mehr, seit ein paar Jahren ist aber in Deutschland für den Bluesfan das Journal „Blues News“ mit Informationen und Nachrichten aus der hiesigen Bluesszene erhältlich.

Die von 1972 bis 1980 unterbrochenen und 1983 eingestellten AFBFs fanden zunehmend Nachfolger in regionalen Bluesfestivals. Neben dem Festival in Gaildorf entstanden Bluesfestivals in Lahnstein, Unna, Leverkusen und Bremen mit zum Teil exklusiv verpflichteten amerikanischen Bluesgrößen, die den Kontakt zu originären Bluesmusikern verstärkten und zugleich lukrative Auftritte für deutschsprachige Bluesmen boten. Bei der Produktion von Bluesplatten eroberte sich Detlev Hoegen mit „Crosscut Records“ und dem angeschlossenen Versandhandel eine wichtige Stellung. Heute ist „Crosscut“, neben „Document“ und „Stumble Records“, das führende Blueslabel im deutschsprachigen Raum.

Das zunehmene Interesse am Blues bewegte einige schwarze Bluesmen, sich in Deutschland und Europa niederzulassen und den direkten Austausch mit den weißen Musikern hier zu pflegen. Am bekanntesten ist hier Champion Jack Dupree, der sich 1975 in Hannover niederließ, wo er 1992 verstarb. Der Gitarrist Louisiana Red lebt ebenfalls seit Anfang der 80er Jahre in Hannover. Er ist regelmäßig mit deutschen und europäischen Bluesbands auf Tournee und auf zahlreichen Plattenproduktionen hier ein gerngesehener Gast. Aus Detroit holte der Bluespianist Christian Rannenberg den Saxophonisten Gary Wiggins nach Deutschland und tourte viele Jahre erfolgreich mit ihm als International Blues Duo. Wiggins lebt und arbeitet heute in Berlin. Der Sänger und Gitarrist Sidney Selby alias Guitar Crusher kam von New York nach Berlin und lebt heute in Freiburg. Feste Bestandteile der deutschsprachigen Bluesszene heute sind auch der Sänger Eb Davis oder die Sängerin Angela Brown. Neben den schwarzen Bluesmen und Blueswomen war auch für einige weiße Bluesmen die alte Welt attraktiv genug, um sich hier anzusiedeln, Jim Kahr, Steve Baker, Matt Walsh oder Tom Shaka treten in Clubs und auf Festivals regelmäßig auf.

Waren nach und in der Zeit des AFBF bei den aufkommenden ersten Bluesgruppen im deutschsprachigen Raum Chicago Blues, Folk Blues und weiße Bluesadaptionen die dominierenden Stilrichtungen, traten im Laufe der 70er und zu Beginn der 80er Jahre zunehmend lokal geprägte Bluesstile aus Texas, New Orleans und Memphis hinzu. Die stilistische Verbreiterung hing zum einen mit den häufigeren Kontakten mit in Europa gastierenden Künstlern zusammen. Diese traten immer häufiger mit ihren eigenen Begleitgruppen auf, die ein deutlich prägnanteres Zusammenspiel präsentieren konnten, als es im Rahmen der AFBFs möglich gewesen war. Zum anderen übten die erfolgreichen Blues- und Soulkünstler aus Memphis und deren Auftritte auf europäischen Jazzfestivals einen deutlichen Einfluß aus. Die Kopie dieses Stils in dem Film „The Blues Brothers“ durch Dan Ackroyd und James Belushi 1980 führte in der Folge in Deutschland fast zu einer Blues-Brothers-Manie mit dem Aufkommen unzähliger Epigonen, die das Blues-Brothers-Konzept mehr oder weniger erfolgreich kopierten.

Eigenständigere Wege ging die österreichische Gruppe Mojo Blues Band um den Gitarristen Eric Trauner, die Chicago Blues und Zydeco, Swamp Blues und Westcoast Rhythm & Blues verarbeiteten. Als Begleitung von Big Jay McNeely, Katie Webster und A.C. Reed gewannen sie Anerkennung weit über die Grenzen Österreichs hinaus. In der Schweiz sorgte die Checkerboard Blues Band des Gitarristen und Sängers Philipp Fankhauser für Aufmerksamkeit. Fankhauser lebt heute als Musiker in den USA. Die Stormy Monday Blues Band reicherte ihren Blues mit einer eigenen Horn-Section an und in jüngster Zeit findet die Formation B.B. & The Blues Shacks mit einer Mischung von Rockabilly und Rhythm & Blues breite Zustimmung.

Neben Bluesgitarre und Boogie-Woogie-Piano steht für viele Bluesinteressierte die Mundharmonika im Mittelpunkt. Das Interesse an diesem Instrument lebt seit den Anfängen des AFBF und den Auftritten von Sonny Boy Williamson (Rice Miller), Junior Wells und Big Walter Horton. In den 70er und 80er Jahren verstärkte es sich zunehmend, gefördert durch die Auftritte von weißen Bluesmundharmonikavirtuosen. Charlie Musselwhite, William Clarke, Rod Piazza oder James Harman begeisterten hier ein dankbares Publikum. Inzwischen stehen die deutschsprachigen Bluesmen Thomas Feldmann, Dieter Kropp oder Klaus „Mojo“ Kilian ihren schwarzen und weißen Vorbildern hier kaum nach.

Gegenüber den Anfängen der deutschsprachigen Bluesszene stehen heute musikalische Vielfalt und handwerkliche Professionalität im Vordergrund. Zu den profiliertesten Gruppen und Bluesmusikern zählen heute neben den noch aktiven Bluesgruppen Das Dritte Ohr, Mojo Blues Band oder Blues Company aus den Anfängen des Blues im deutschsprachigen Raum die Gruppen The Bluescasters, B.B. & The Blues Shacks, Acoustic Blues Duo, Cadillac Blues Band, Stormy Monday Blues Band und Christian Dozzler & The Blues Wave.