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 Blues in den USA - Chicago Blues

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Wahrscheinlich hat kein anderer Bluesstil einen so hohen Wieder- erkennungswert in Form, Feeling und Sound, wie der Chicago Blues. Es ist die Musik, die am meisten nach dem Rhythm & Blues/Rock’n Roll der 50er Jahre klingt. Wenn man einen TV-Werbespot sieht und hört, der mit Blues unterlegt ist, handelt es sich immer um den Chicago-Stil. Es ist der Klang von verstärkten Harmonicas, elektrischen Slide-Guitars, einem mächtigen Boogie-Piano, einer entfesselten Rhythmusgruppe und eindringlichem Gesang. Es ist der Genius von Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Elmore James und Little Walter, der ein urbanes Publikum begeisterte und es mit auf eine Reise nahm in eine verrauchte, lärmende Kneipe in der South Side von Chicago. Es ist der ansteckende Boogie von Hound Dog Taylor, Jimmy Reed, Joe Carter und Robert Nighthawk, die, wie die unzähligen kleinen Combos, am Sonntagmorgen auf dem Markt in der Maxwell Street spielten. Und es ist der Single-Note-Stil von B.B. King, Otis Rush, Magic Sam und Buddy Guy.

Der Chicago Blues basiert auf dem unkomplizierten, rauhen und direkten Delta Blues, der in Kontakt mit dem städtischen Leben kam und nun elektrisch verstärkt wurde. Chicago Blues ist der erste Bluesstil, der ein Massenpublikum erreichte und, nach einer gewissen Zeit, ebenso ein Weltweites.

Obwohl die „Windy City“ schon vor dem 2. Weltkrieg eine rege Bluesszene besaß (ein von Lester Melrose gepushter, weichgespülter Bigband-Blues), ist es die Kombination verschiedener Elemente, die den Chicago Blues nach dem Krieg richtig in Bewegung brachten.

Zuerst müssen die sozialen Umstände nach dem 2. Weltkrieg genannt werden. Die Schwarzen packten ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und zogen nach Norden, wo sie für sich ein besseres Leben und besser bezahlte Jobs erhofften. Es war für sie verlockender, in einem Chicagoer Schlachthof zu arbeiten, als irgendwo auf einer Farm in Mississippi hinter einem Maulesel zu stehen.

So zogen sie also nach Norden in die großen Städte. Dieser Einfluß der Migranten brachte Chicago viel Kapital ein. Unabhängige Schallplattenlabels hatten nach der Aufhebung der Schellack-Rationierung einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Entwicklung der Musik. Neue Labels, speziell für den Blues, schossen wie Pilze aus dem Boden. Die größten waren Chess und Vee-Jay.

Zu dieser Zeit waren John Lee „Sonny Boy“ Williamson, Big Bill Broonzy und Tampa Red die Lokalmatadoren. Doch sie verloren zunehmend an Einfluß. Die neuen Einwanderer hatten sich an das Leben in der Großstadt gewöhnt, vergaßen aber nie ihre Herkunft. Sie veränderten die Musik, spielten „dreckiger“ und packten mehr Realismus und Emotionen hinein. Eines Tages hielt ein Zug in Chicago und es entstieg ihm ein junger Slide-Gitarrist aus Mississippi. Das neue Publikum hatte jetzt den Sound und den Stil, der ihre Alltagssituation widerspiegelte. Muddy Waters kam nach Chicago und der Sound des Chicago Blues, so wie wir ihn kennen, war geboren.

Muddy Waters (Links) erkannte zwei Dinge. Um in Chicago zu spielen, brauchte er als Erstes eine elektrische Gitarre und einen Verstärker, um sich in den lauten Kneipen Gehör zu verschaffen und Eindruck zu machen. Zum Zweiten benötigte er eine Band, nicht mit Trompeten und Saxophonen, aber eine moderne Version der Stringbands, mit denen er in Clarksdale, Mississippi, gearbeitet hatte. Es ist der Verdienst von Muddy Waters, daß er die Blaupause einer modernen, elektrischen Bluesband geschaffen hat. Es gab zwar schon einige Bluescombos vor Waters’ Ankunft in der Stadt, aber keine klang wie seine.

Muddys erste Band nannte sich „The Headhunters“, weil sie jede Band auf der Bühne „an die Wand“ spielte. Obwohl Muddy auf dem Label „Chess“ auch Hits, begleitet nur von seiner Gitarre und einem Bassisten, veröffentlichte, waren seine Liveauftritte völlig anders. Baby Face Leroy Foster wurde bald durch Elgar Edmonds an den Drums ersetzt, Jimmy Rogers spielte die zweite Gitarre und Otis Spann brachte seinen wunderbaren Pianostil in die Band ein. Aber es war das Mundharmonika (Harp)-Genie Little Walter, das den Chicago Blues-Sound veränderte. Muddys und Jimmys Gitarren waren elektrisch verstärkt und Walter hatte auch für seine Harp ein eigenes Mikrophon und einen Verstärker. Sein honkender, verzerrter Ton mit saxophonähnlichen Licks wurde zum Vorbild für jede neue Combo und jeden Harpspieler. Nach einiger Zeit verließ Walter Muddys Band und gründete seine eigene, „The Jukes“. Clubbesitzer nahmen jetzt nur noch Combos mit einem Harpspieler unter Vertrag.

In Detroit nahm der Gitarrist John Lee Hooker Platten wie ein Verrückter auf. Sein Stil bestand aus einem mit dem Fuß gestampften Rhythmus und einem rudimentären Gesang. Er hatte so viele musikalische Ideen, daß er, obwohl er mit nur einer Plattenfirma einen Vertrag hatte, für andere Firmen unter anderen Namen aufnahm.

Bald gab es an jeder Ecke Chicagos neue Bands, die im Stil von Muddy Waters spielten, und es sprach sich überall herum, daß Chicago zum gelobten Land für den Blues geworden war. Der Wettbewerb unter den Künstlern war hart. Viele Bands und Interpreten, die später berühmt werden sollten, wie z.B. Bo Diddley, Earl Hooker, Big Walter Horton, J.B. Lenoir, Snooky Pryor, Jimmy Reed und J.B. Hutto, spielten für ein Trinkgeld auf der Maxwell Street.

Jemand, der Muddy Waters ernsthaft die Krone des King Of Chicago Blues streitig machen konnte, war Howlin’ Wolf (Links), ein Bluesman aus Memphis. Er war gerade in die Stadt gekommen, hatte einen Vertrag bei Chess unterschrieben und schon einen Hit in den R & B-Charts. Zwischen Muddy Waters und Howlin’ Wolf herrschte bald eine intensive Rivalität, die bis zum Tode von Wolf im Jahre 1976 andauerte. Sie warben sich gegenseitig ihre Begleitmusiker ab und wetteiferten miteinander darum, wer von beiden das beste Songmaterial von Willie Dixon als erster aufnehmen durfte.

Mitte der 50er Jahre wurde der Höhenflug des Blues gestoppt. „The Blues had a baby, and they named it Rock’n Roll“. Plötzlich waren Leute wie Elvis Presley und Bill Haley angesagt, später die Soul-Music. Das schwarze Publikum wandte sich vom Blues ab und der neuen Musik zu. Die lokale Szene benötigte dringend eine Transfusion frischen Blutes. Auf der West Side Chicago waren junge Musiker von B.B. Kings Art und Weise zu singen und zu spielen begeistert und schufen einen neuen Stil. Sie arbeiteten mit mehreren Saxophonisten, einem Bassisten und einem Drummer zusammen. Verfügten sie über keine Sax-Sektion, spielten die Gitarristen Jazz-Phrasen, um den Sound „fetter“ zu machen. Otis Rush, Buddy Guy und Magic Sam waren die neuen Vertreter dieses Genres, und selbst Howlin’ Wolf und Elmore James nahmen Platten mit Saxophonen auf.

Gab es bisher drei grundlegende Grooves, nämlich Slow Blues, Boogie Shuffle und Cut Shuffle (wie z. B, „Got My Mojo Working“), veränderte man jetzt den Blues zu einem Rock-Groove, oft mit befriedigenden Resultaten. Einer der ersten Musiker dieses Stils war das Harp-As Junior Wells. Wells erster Hit, „Messing With The Kid“, war Blues mit einem treibenden Beat und großartigen Gitarrenriffs. Er signalisierte, daß der Blues sich „wiedererfunden“ und sich dem Massengeschmack angenähert hatte. Wells spielte zusammen mit Buddy Guy im Lokal „Pepper’s Lounge“ und kombinierte den traditionellen Blues mit „Funky Beats“.

Mitte der 60er Jahre gab es mit der einflußreichen Paul Butterfield Blues Band die erste „gemischtrassige“ Combo mit einem hervorragenden Gitarristen Mike Bloomfield und Mitgliedern von Howlin’ Wolfs Band.

Die Beats und Basslinien mögen „funkiger“ geworden sein, die Gitarrensounds moderner und rockiger. Die Strukturen haben sich vielleicht geändert. Doch der heutige Chicago Blues ist immer noch "Still alive and well".